Ein Olympia-Boykott, auch Olympiaboykott geschrieben, bezeichnet bei den Olympischen Spielen die Entscheidung einzelner Athleten, Länder oder ganzer Gruppen von ihnen, den Spielen als Form des Protests fernzubleiben. Insbesondere zur Zeit des Kalten Krieges wurden solche Boykotte von unterschiedlichen Staaten aus zumeist politischer Motivation organisiert.

Begriffsursprung
Ein Boykott ist ein organisiertes Druckmittel, bei dem eine Gruppe bewusst zum Beispiel einem Unternehmen, Staat oder auch einer Veranstaltung fernbleibt. Durch den dadurch ausgeübten Druck sollen die eigenen Interessen der Gruppe durchgesetzt werden.
Verschiedene Boykottformen fanden schon vor Jahrhunderten Anwendung. Selbst die Olympischen Spiele der Antike waren Spielfeld von politischen Fehden, auch wenn man hier noch nicht von Olympia-Boykotten sprechen würde.
Relevant für die Geschichte des Olympia-Boykotts ist, dass Boykotte im 20. Jahrhundert als Form des gewaltfreien Protests an Gewicht gewannen. Im Kalten Krieg setzten etwa die Vereinigten Staaten das verfeindete sozialistische Kuba unter Druck, indem sie es wirtschaftlich boykottierten.
Der zusammengesetzte Begriff „Olympia-Boykott“ entwickelte sich zum Schlagwort, um zu beschreiben, wenn Athleten bestimmter Länder den Olympischen Spielen aus Protest fernblieben, um etwa Druck auf deren Austragungsort auszuüben. Grund dafür kann zum Beispiel ein politischer Konflikt zwischen dem Land der Athleten und dem Gastgeberland sein.
Formen des Olympia-Boykotts
Im Wesentlichen ist es bei den Olympischen Spielen zu zwei verschiedenen Formen des Boykotts gekommen. Allen wichtigen Olympia-Boykotten lag dabei eine politische Entscheidung zugrunde. Die Konsequenzen aus dieser unterscheiden sich jedoch.
Traditionell lief ein Olympia-Boykott nach dem Muster ab, dass die politische Führung eines Landes entschied, dass ihre Athleten nicht an den Spielen teilnehmen würden. Man könnte hier von einem sportlichen Boykott sprechen. Damit sollte nichtsdestotrotz politischer Druck ausgeübt werden. Die Leidtragenden der Entscheidung waren jedoch in erster Linie die Athleten, die trotz langjähriger Vorbereitung nicht an den Spielen teilnehmen konnten.
Eine weitere Form des Olympia-Boykotts kam zum ersten Mal bei den Olympischen Winterspielen 2022 in Peking zur Anwendung. Um politischen Druck auszuüben, ohne dabei den eigenen Athleten zu schaden, entschieden sich unter anderem die USA für einen diplomatischen Boykott. Dieser sieht vor, dass die Athleten zwar an den Spielen teilnehmen, aber von keinen offiziellen Delegationen oder Diplomaten besucht werden.
Chronik der Olympia-Boykotte
In der Geschichte der Olympischen Spiele der Neuzeit ist es zu einer Reihe von Boykotten der Spiele gekommen. Die bekanntesten Boykotte fanden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts statt, insbesondere in den 1980er-Jahren. Dennoch gab es auch vorher und seitdem vereinzelte Fälle, in denen einzelne Interessensgruppen die Spiele ablehnten oder es zumindest Bestrebungen für einen Boykott gab.

Vor dem Zweiten Weltkrieg
Ideen für einen Boykott der Olympischen Spiele gab es schon seit deren erster Austragung 1896. Damals forderten zum Beispiel nationalistische Kreise in Deutschland unter dem Motto „Olympiateilnahme ist Vaterlandsverrat“, eine deutsche Teilnahme zu verhindern. Sie scheiterten jedoch mit ihrer Forderung. Hintergrund war, dass sie sich daran störten, dass die Spiele von einem Franzosen ins Leben gerufen wurden.
Immer wieder kam es auch zu vereinzelten Protestaktionen, die man als Boykott bezeichnen könnte. Beispielsweise verließ die italienische Delegation bei den Olympischen Sommerspielen 1924 in Paris verärgert die Schlusszeremonie und sangen dabei die Hymne der faschistischen Bewegung Italiens. Sie reagierten dabei auf einen kontroversen Sieg eines Franzosen gegen einen Italiener im Fechten.
Bei den Olympischen Sommerspielen 1936 in Berlin gab es in vielen Ländern Bestrebungen, die Spiele nach der nationalsozialistischen Machtergreifung in Deutschland zu boykottieren. Besonders kontrovers wurde die Teilnahme in den Vereinigten Staaten diskutiert. Dort entschied sich der nationale Sportbund letztlich mit einer Mehrheit von nur drei Stimmen für eine Teilnahme.
Nach dem Ersten Weltkrieg wurden vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) die im Krieg unterlegenen Achsenmächte Deutschland, Österreich, Ungarn, Bulgarien und die Türkei von den Olympischen Spielen 1920 ausgeschlossen. Als einzige Nation blieb Deutschland auch noch 1924 von den Sommerspielen in Paris und den Winterspielen in Chamonix ausgeschlossen. Hierbei kann man im engsten Sinne jedoch nicht von einem Olympia-Boykott sprechen.
1948 bis 1976
Als gewaltfreie Form des politischen Protests gewann die Möglichkeit des Boykotts der Olympischen Spiele nach dem Zweiten Weltkrieg an Relevanz. Ab der ersten Ausgabe der Spiele nach dem Krieg im Jahr 1948 kam es immer wieder zu Boykotten einzelner Teilnehmerstaaten.
Bei den 1948 abgehaltenen Olympischen Sommerspielen in London und Winterspielen in St. Moritz waren Deutschland und Japan als Verlierer des Zweiten Weltkriegs ausgeschlossen. In diesem Sinne wurden die beiden Staaten vom Rest der teilnehmenden Nationen aufgrund ihrer Vorgeschichte im Krieg boykottiert. 1948 kam es jedoch noch zu keinem freiwilligen Boykott der Spiele aus Protestgründen.
Helsinki 1952
Zu einem ersten freiwilligen Boykott der Spiele kam es bei den Olympischen Sommerspielen 1952 in Helsinki. Diese wurden von der Republik China (Taiwan) boykottiert. Damit sollte dagegen protestiert werden, dass auch die kommunistische Volksrepublik China eingeladen wurde.
Obwohl die Kommunisten nach dem Ende des Chinesischen Bürgerkriegs 1949 Festland-China kontrollierten, war die im Bürgerkrieg unterlegene Republik China auf Taiwan eigentlich bis 1971 der einzige von der UN anerkannte Vertreter Chinas. Dennoch entschied man sich dazu, Athleten aus beiden Teilen Chinas zu den Spielen einzuladen, was den Protest der auf Taiwan regierenden Republik China hervorrief.
Melbourne 1956
Zu der ersten größeren Boykottaktion bei den Olympischen Spielen kam es bei den Olympischen Sommerspielen 1956 in Melbourne. Diese standen im Zusammenhang mit den politischen Entwicklungen des Jahres 1956.
Einige Wochen vor den Spielen kam es zum Ungarischen Volksaufstand. Es handelte sich um den Versuch einer demokratischen Revolution weiter Teile der ungarischen Bevölkerung gegen die kommunistische Regierung und sowjetische Besatzung. Die sowjetische Armee schlug den Aufstand in einer blutigen militärischen Konfrontation mit mehreren tausenden Toten nieder. Um dagegen zu protestieren, boykottierten Spanien, die Niederlande und die Schweiz die Spiele in Melbourne.
Heute als „Sueskrise“ oder „Sinai-Krieg“ bekannt eskalierte etwa zur gleichen Zeit zudem ein Konflikt um den Sueskanal. Israel, Frankreich und Großbritannien auf der einen Seite und Ägypten auf der anderen Seite führten über den Sueskanal eine militärische Auseinandersetzung mit fast 2.000 Toten. Da Israel zu den Olympischen Spielen eingeladen wurde, boykottierten Ägypten, der Irak, Libanon und Kambodscha die Spiele.
Die Volksrepublik China boykottierte die Spiele als insgesamt achtes Land, da auch Athleten aus der Republik China (Taiwan) zu den Spielen eingeladen wurden.
Tokio 1964
Zu einem Boykott einiger weniger asiatischer Staaten kam es bei den Olympischen Sommerspielen 1964 in Tokio. Dieser stand im Zusammenhang mit GANEFO, den sogenannten „Spielen der neuen aufstrebenden Kräfte“. Unter diesem Namen wurde 1963 in Indonesien eine Sportveranstaltung für asiatische Staaten als Alternative zu den Olympischen Spielen ausgetragen. Dies stand auch im Zusammenhang damit, dass das IOC den indonesischen Präsidenten dafür kritisiert hatte, dass er Israel und die Republik China (Taiwan) nicht zu den Asienspielen 1962 eingeladen hatte.
Als Reaktion auf den Vorstoß der asiatischen Staaten mit ihrer eigenen Sportveranstaltung entschied sich das IOC, Athleten von den Olympischen Spielen in Tokio auszuschließen, die an GANEFO teilegenommen hatten. Als Reaktion darauf boykottierten Nordkorea, die Volksrepublik China und Indonesien die Spiele.
Mexiko-Stadt 1968
Ein Boykott von 40 afrikanischen Staaten konnte bei den Olympischen Sommerspielen 1968 in Mexiko-Stadt nur knapp vermieden werden. Das stand im Zusammenhang mit einem Protest gegen die Einladung Südafrikas zu den Spielen. Aufgrund der rassistischen Apartheid war das Land bereits von den Olympischen Sommerspielen 1964 in Tokio ausgeschlossen worden. In der Folge versuchte das Internationale Olympische Komitee (IOC) jedoch, Südafrika wieder als Teilnehmer der Spiele zu integrieren.
Als Reaktion darauf schlossen sich die nationalen Olympischen Komitees der anderen afrikanischen Staaten zusammen und forderten, Südafrika von den Spielen in Mexiko-Stadt auszuschließen. Sie drohten mit einem Boykott der Spiele, sollte man ihrer Forderung nicht nachkommen. Diesem Druck gab das IOC nach und schloss Südafrika von den Spielen aus.
München 1972
Bei den Olympischen Sommerspielen 1972 in München kam es einige Tage vor Beginn der Spiele erneut fast zum Eklat und Boykott durch 27 afrikanische Staaten. Nach dem Ausschluss in Mexiko-Stadt 1968 hatte das IOC erneut Rhodesien zu den Spielen nach München eingeladen, während Südafrika weiterhin nicht teilnehmen durfte. Die Athleten 27 afrikanischer Staaten drohten in Folge mit ihrer Abreise aus München, falls die 46 rhodesischen Athleten teilnehmen dürften.
In einem knappen Abstimmung mit 36 zu 34 Stimmen entschied das IOC gegen den Willen seinen Präsidenten Avery Brundage schließlich am 22. August 1972, vier Tage vor Beginn der Spiele, Rhodesien doch von den Spielen auszuschließen. Die 46 Athleten des Landes mussten daraufhin wieder abreisen und die der afrikanischen Staaten, die mit Boykott gedroht hatten, nahmen doch teil.
Montréal 1976
Die Auseinandersetzung um den Umgang mit der Apartheid in Südafrika setzte sich auch bei den Olympischen Sommerspielen 1976 in Montréal fort. Südafrika blieb zwar von den Spielen ausgeschlossen. Die Rugby-Nationalmannschaft Neuseelands hatte im Vorfeld der Spiele jedoch gegen den Sportbann gegen Südafrika verstoßen und eine Rugby-Tour durch das Land veranstaltet. Daraufhin forderten viele afrikanische Staaten einen Ausschluss Neuseelands von den Spielen in Montréal, was das IOC jedoch ablehnte.
Als Reaktion auf die Teilnahme Neuseelands an den Spielen und Zeichen des Protests organisierten 16 afrikanische Staaten einen Olympia-Boykott. Nach der Eröffnung der Spiele schlossen sich dieser Protestaktion noch weitere afrikanische Staaten an. Als Solidarität entschied sich auch das südamerikanische Land Guyana, die Spiele zu boykottieren.
Auch die Republik China auf Taiwan boykottierte die Sommerspiele in Montréal. Ihre Athleten wurden offiziell zu den Spielen eingeladen, sollten jedoch zur Verbesserung der Beziehungen zur Volksrepublik China unter den Namen „Taiwan“ teilnehmen. Als Protest gegen diese Entscheidung zog man sich von den Olympischen Spielen zurück.
Moskau und Los Angeles
Zu den beiden bekanntesten Boykotten der Olympischen Spielen kam es 1980 und 1984. In diesen Jahren fanden die Spiele in zwei aufeinanderfolgenden Ausgaben in der Sowjetunion und den USA statt, den beiden Supermächten im Kalten Krieg. Diese boykottierten jeweils die Spiele im Land des Gegners und drängten Verbündete dazu, sich dem Boykott anzuschließen.
Durch das Fernbleiben der meist erfolgreichsten Mannschaften waren die Boykotte von 1980 und 1984 die folgenreichsten. Sie schmälerten die sportliche Qualität und den Unterhaltungswert der Spiele erheblich.
Olympia-Boykott Moskau 1980
Unmittelbar nachdem Moskau 1974 als Austragungsort der Olympischen Sommerspiele 1980 gewählt worden war, begannen Rufe zum Boykott der Spiele durch die USA. Darin sah man ein legitimes Druckmittel gegen die Sowjetunion als Systemgegner im Kalten Krieg. Die meisten Beobachter gingen jedoch auch davon aus, dass sich die Sowjetunion allein aus wirtschaftlichen und Prestigegründen bemühen würde, einen Boykott zu vermeiden.
Der Konflikt um eine US-amerikanische Teilnahme an den Spielen spitzte sich mit dem Einmarsch der sowjetischen Armee in Afghanistan ab Dezember 1979 zu. Die US-Regierung veröffentlichte im Januar 1980 eine Übersicht von möglichen Strafmaßnahmen, zu denen auch ein Boykott der Olympischen Spiele gehörte.
Als das IOC eine Verlegung der Olympischen Spiele ablehnte, drohte der US-Präsident Jimmy Carter einen weltweiten Boykott der Spiele an, sollte sich die Position der Sowjetunion nicht ändern. Dieser Drohung schlossen sich Kanada und Großbritannien sowie 36 islamisch-geprägte Länder an.
Die USA versuchten darüber hinaus, weitere afrikanische Länder für den Boykott zu gewinnen. Als Reaktion darauf ordnete die Sowjetunion ihrerseits eine Werbekampagne ihrer Botschaften und staatlichen Organisationen für die Spiele an.
Von amerikanischer Seite intensivierte man die Boykott-Bemühungen erst nach den im Februar stattfinden Olympischen Winterspielen 1980 in Lake Placid. Man fürchtete, dass die Sowjetunion diese sonst ebenfalls boykottieren würde.
Nach heftigen Diskussionen beschloss das US-amerikanische Olympische Komitee schließlich im April 1980 gegen den Willen der meisten Athleten den Boykott der Spiele. Die US-Regierung hatte finanzielle Sanktionen angedroht, falls sich der Verband dem Boykott-Beschluss der Regierung widersetzt hätte.
Das deutsche nationale olympische Komitee stimmte nach hitzigen Diskussionen im Mai 1980 auf Empfehlung der Bundesregierung ebenfalls für einen Boykott der Spiele. Die meisten anderen westeuropäischen Länder entschieden sich dennoch gegen einen Boykott. Man wählte dafür andere Protestformen, etwa das Fernbleiben von olympischen Zeremonien oder ein Antreten unter olympischer Flagge.
Außerdem blieb die Republik China (Taiwan) den Spielen fern, da man sich weigerte, wie verlangt unter dem Namen „Chinesisch Taipeh“ anzutreten.
Olympia-Boykott Los Angeles 1984
Die Möglichkeit eines Gegenboykotts der Sowjetunion und ihrer Verbündeten nach Moskau bei den Olympischen Sommerspielen 1984 in Los Angeles ignorierte man in den USA zunächst. Nach dem Abschuss eines südkoreanischen Passagierflugzeugs durch die Sowjetunion im September 1983 verschärfte sich die antisowjetische und antikommunistische Haltung in dem Land jedoch wieder.
Unter anderem kam es zum Ende des Jahres 1983 in Kalifornien zu Abstimmungen im Parlament des Bundesstaates, mit denen der Ausschluss sowjetischer Athleten von den Spielen gefordert wurde. Gleichzeitig wurden Unterschriftenaktionen gegen die sowjetische Teilnahme gestartet. Die US-Regierung und das Organisationskomitee der Spiele wollten jedoch die Einreise aller Athleten von vom IOC akzeptierten Nationen garantieren.
Diese kritische Stimmung gegen die Teilnahme wurde in der Sowjetunion mit großem Misstrauen aufgenommen. Der Konflikt spitzte sich aufgrund verschiedener Meinungsverschiedenheit über die Akkreditierung von Medienvertretern und Vergabe von Visa zu. Vollständig eskalierte er schließlich im März 1984, als einem sowjetischen Diplomaten die Akkreditierung verweigert wurde, da er als KGB-Offizier eingeordnet wurde.
Die Sowjetunion brachte daraufhin im April 1984 zum ersten Mal einen Olympia-Boykott ins Spiel. Diese Drohung wurde unter anderem mit Sicherheitsbedenken für die eigenen Athleten begründet. Sowjetische Sportfunktionäre fordert das IOC in der Folge zu einer Verpflichtung des Organisationskomitees zur Einhaltung der Olympischen Charta auf. Trotzt mehrerer Schlichtungsversuche ließ sich der Streit nicht beilegen. Etwa zwei Stunden nach Beginn des olympischen Fackellaufs gab die Sowjetunion am 8. Mai 1984 ihren Boykott der Spiele bekannt.
Andere Mitgliedsstaaten des Ostblocks wie Polen, die DDR oder auch Kuba wurden ebenfalls für den Boykott eingespannt. Dem Präsidenten des Organisationskomitees der Spiele gelang es dabei noch, Rumänien und die Volksrepublik China davon abzubringen, sich dem Boykott anzuschließen. Auch Bemühungen des sowjetischen Geheimdienstes, weitere afrikanische und asiatische Länder für den Boykott zu gewinnen, indem man sich in Briefen als Ku-Klux-Clan ausgab und mit Anschlägen auf deren Sportler drohte, scheiterten.
Nach 1984
In Folge der drei großen Boykotte bei den Olympischen Sommerspielen zwischen 1976 und 1984 befürchtete man die Spaltung der olympischen Bewegung. Als Reaktion darauf verabschiedete das IOC im Dezember 1984 eine Resolution zur Sicherung zukünftiger Teilnahmen. Darin wurde es als „prinzipielle Pflicht eines Nationalen Olympischen Komitees“ bezeichnet, die Teilnahme der eigenen Athleten an den Olympischen Spielen zu sichern. Dieser Beschluss wird als „Deklaration von Mexiko“ bezeichnet.
Obwohl man alles versuchte, um weitere Boykotte zu verhindern, war die Vergabe der Olympischen Sommerspiele 1988 nach Seoul in Südkorea nicht unumstritten. Aufgrund des umstrittenen Status von Südkorea unterhielt es unter anderem keine diplomatischen Beziehungen zu sozialistischen Staaten. Die Sowjetunion und ihre meisten Verbündeten sagten nach den Erfahrungen der vergangenen Spiele dennoch einer Teilnahme zu.
Ein Boykott konnte trotzdem nicht vollständig vermieden werden. Obwohl man versuchte, Nordkorea in die Ausrichtung der Spiele einzubinden, konnte man sich nicht mit Südkorea darauf einigen, wie man sich die Spiele teilen könnte. Als Folge darauf entschied sich Nordkorea für einen Boykott. Diesem schlossen sich aus Solidarität Äthiopien, Kuba, und Nicaragua an. Auch Albanien, Madagaskar und die Seychellen beteiligten sich an dem Boykott, verzichteten jedoch auf die Bezeichnung, um Sanktionen durch das IOC zu vermeiden.
Seit 1988 hat es keine größeren Boykotte der Olympischen Spiele gegeben. Die Forderung danach wurde zwar immer wieder laut, es kam jedoch nie zum systematischen Fernbleiben von Athleten ganzer Länder von den Spielen.
Besonders prominent waren die Proteste im Vorfeld der in Peking stattfindenden Olympischen Sommerspiele 2008. Dabei standen Menschenrechtsverletzungen durch den chinesischen Staat in der Kritik. Vor den Spielen kam es zu heftigen Protesten mit der Zivilbevölkerung in verschiedenen Ländern bei dem Fackellauf für die Spiele. Als Reaktion darauf investierten die Organisatoren massiv in den Sicherheitsapparat bei den Spielen. Es kam jedoch zu keinem weitreichenden Olympia-Boykott.
Olympia-Boykott bei Olympischen Winterspielen
Obwohl der Olympia-Boykott besonders im Kalten Krieg über Jahrzehnte hinweg als Druckmittel bei den Olympischen Spielen existierte, beschränkten sich die Boykotte durchweg auf die Olympischen Sommerspiele. Bei den Olympischen Winterspielen kam es trotz einiger Drohungen nie zu einem breit angelegten Olympia-Boykott wie etwa bei den Sommerspielen 1980 und 1984.
Im Raum stand ein Boykott der Olympischen Winterspiele grundsätzlich zum ersten Mal bei den Olympischen Winterspielen 1980 in Lake Placid. Da die USA bereits einen Boykott der Sommerspiele 1980 in Moskau angedroht hatten, befürchtete man einen Gegenboykott der Sowjetunion bei den Winterspielen im eigenen Land. Die US-Regierung wartete jedoch bis zum Ende der Winterspiele, um den Plan zu verwirklichen, den Sommerspielen fernzubleiben. Dadurch konnte ein Boykott der Winterspiele vermieden werden.
Eine neue Form des Olympia-Boykotts entstand im Zusammenhang mit den Olympischen Winterspielen 2022 in Peking. Diese standen wegen möglicher Menschenrechtsverletzungen durch den chinesischen Staat von Beginn an in der internationalen Kritik. In diesem Zusammenhang wurden auch vermehrt Boykott-Forderungen laut.
Dennoch schien bei den Winterspielen 2022 ein radikaler Boykott nach dem Vorbild des Kalten Krieges ausgeschlossen. Die US-Regierung entschied sich daher für eine Form des Boykotts, die es vorher noch nicht gegeben hatte: Sie kündigte an, die Spiele diplomatisch zu boykottieren. Das bedeutet, dass sie nicht von offiziellen Delegationen besucht werden sollen, Athleten aber teilnehmen dürfen.
Über die Gründe, weshalb es abseits davon zu keinen großen Boykotten der Olympischen Winterspiele gekommen ist, lässt sich nur spekulieren. Es dürfte jedoch vor allem mit zwei Aspekten zusammenhängen. Zunächst sind die Winterspiele international deutlich weniger bedeutsam als die Sommerspiele. Da sie damit weniger relevant sind, lässt sich leichter über sie hinwegsehen und ein Boykott wäre sowieso weniger folgenreich.
Ein weiterer Grund könnte das Teilnehmerfeld bei den Winterspielen sein. Die Athleten kommen bei den Wintersportarten traditionell meist von Staaten auf der Nordhalbkugel, insbesondere aus Europa und Nordamerika. Da insgesamt weniger Staaten teilnehmen und die erfolgsreichsten Länder bei den Spielen zumeist noch verbündete nordeuropäische und nordamerikanische Staaten sind, könnte von vornherein weniger Konfliktpotenzial bestehen.
Bedeutung der Olympia-Boykotte
Die Boykotte der Olympischen Spiele blieben offenkundig nicht folgenlos. Abhängig von der Zahl der den Spielen fernbleibenden Länder, Athleten und politischen Umstände der Boykotte müssten für jeden Olympia-Boykott einzeln betrachtet werden. Dennoch lassen sich aus der Geschichte viele grundsätzliche Schlüsse über die Bedeutung der Olympia-Boykotte schließen.
Während festgestellt werden kann, dass die Olympia-Boykotte zum Teil gravierende Auswirkungen für die Athleten und damit auch die Medaillenspiegel hatte, muss die Effektivität der Boykotte in Hinsicht auf ihre politischen Ziele kritisch bewertet werden.
Effektivität der Boykotte
Die Effektivität von Olympia-Boykotten ist grundsätzlich zwiespältig zu bewerten. Es ist zwar festzustellen, dass sie ein deutliches Zeichen eines ideologischen Protests darstellen können. Ein Olympia-Boykott ist in den meisten Fällen sehr aufmerksamkeitswirksam und wird in der Öffentlichkeit als deutliches Protestzeichen wahrgenommen.
Ob Olympia-Boykotte eine nachhaltige Wirkung haben, ist jedoch sehr fragwürdig, wenn nicht sogar ausgeschlossen. Kein Olympia-Boykott in der Geschichte der Olympischen Spiele war nachweislich Ausgangspunkt oder zumindest Beschleuniger politischen Wandels. Weder der Boykott der USA der Sommerspiele 1980 in Moskau noch der Boykott der Sowjetunion bei den Sommerspielen 1984 in Los Angeles bewirkten ein Umdenken in der Politik des Systemgegners. Der Boykott 1984 verhinderte nicht etwa die Wiederwahl Ronald Reagans als US-Präsident, sondern stärkte dessen Wahlkampagne vor dem Hintergrund der erfolgreichen Spiele sogar noch.
Gleichzeitig müssen die Länder, die sich an einem Boykott beteiligen, mit einem Ausbleiben der positiven Auswirkungen der Spiele rechnen. Eine Teilnahme an den Olympischen Spielen bietet immer die Möglichkeit, die Moral eines Landes und damit seine politischen Ziele zu bewerben, wenn etwa inspirierende Athleten in den Wettkämpfen zu Helden werden. Dazu kommt noch der wirtschaftliche Schaden, der durch ausbleibende Übertragungsrechte und den Verkauf von Merchandising-Artikeln für Privatunternehmen entstehen kann.
Im Gesamtbild ist ein Olympia-Boykott also als wenig effektiv zu bewerten. Zwar kann ein gewisses politisches Zeichen von einem Olympia-Boykott ausgehen, nachhaltigen politischen Wandel wird man damit aber kaum fördern. Gleichzeitig muss man dafür mit dem Boykott noch die ausbleibenden positiven Wirkungen der Teilnahme an den Spielen in Kauf nehmen.
Anders zu bewerten sein könnte hier der diplomatische Boykott der Spiele, wie er zuerst bei den Olympischen Winterspielen 2022 in Peking zum ersten Mal zur Anwendung kam. Dabei werden die Spiele von den Athleten besucht, nicht jedoch offiziellen Delegationen oder Diplomaten. Mit dieser Form des Boykotts dürfte man auch das Ziel eines ideologischen Protests erreichen, vermeidet jedoch viele der negativen Aspekte eines vollständigen Olympia-Boykotts.
Folgen für Athleten
Während die politische Effektivität von Olympia-Boykotten kritisch zu bewerten ist, waren die Folgen für Athleten gravierend. Jahrelange Vorbereitung auf die Spiele stellte sich für viele von ihnen als zwecklos heraus, wenn sich ihr großer Traum der Teilnahme an den Olympischen Spielen nicht erfüllte. Letztlich waren es die Athleten, die die Folgen der politischen Entscheidung zum Boykott am direktesten zu spüren bekamen. Sie mussten für Zwecke geradestehen, die dem olympischen Gedanken widersprachen und nicht unmittelbar mit ihnen persönlich im Zusammenhang standen.
Insgesamt dürfte durch die Olympia-Boykotte des Kalten Krieges einigen tausend Athleten die Teilnahme an den Olympischen Spielen verwehrt worden sein. Der Großteil dieser entfällt auf die großen Boykotte zwischen 1976 und 1984, insbesondere die Sommerspiele von Moskau und Los Angeles.
Wie konkret sich ein Olympia-Boykott auf die Karriere und Psyche eines Athleten auswirken kann, beschrieb der Zehnkampf-Weltrekordler Guido Kratschmer 2020 in einem Interview mit der taz. Als bundesdeutscher Athlet konnte er nicht an den Sommerspielen 1980 in Moskau teilnehmen.
Er beschreibt dies als sein persönliches Pech, das ihn sehr getroffen habe. Ihm sei zwar vollkommen klar gewesen, dass man den Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan nicht billigen könne. Er wäre jedoch auch überzeugt gewesen, dass ein Boykott an der Situation nichts ändern würde. Obwohl er sicher war, in Moskau Gold zu gewinnen und später in dem Jahr einen neuen Weltrekord aufstellte, konnte er die Spiele nur als Zuschauer beobachten. Das sei ihm noch Jahrzehnte später nachgegangen. Im Interview mit der taz äußert er sich rückblickend so zu dem Olympia-Boykott 1980 in Moskau:

„Er war unsinnig. Der Sport wurde von der Politik benutzt und wir Sportler mussten es ausbaden. Das war böse.“
– Guido Kratschmer, Zehnkampf-Weltrekordker
Foto: © Diane Krauss (DianeAnna)/CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Auswirkungen auf Medaillenspiegel
Jeder Olympia-Boykott hatte zwangsläufig auch Auswirkungen auf die Medaillenspiegel der jeweiligen Olympischen Spiele. Damit gehen auch Konsequenzen für den Ewigen Medaillenspiegel einher, insbesondere den Ewigen Medaillenspiegel der Olympischen Sommerspiele.
Um diese Auswirkungen zu veranschaulichen, können die Medaillenspiegel der Olympischen Sommerspiele 1980 und 1984 in der direkten Gegenüberstellung als Beispiele dienen. Zum Vergleich nahm etwa im Medaillenspiegel der Olympischen Sommerspielen 1972 in München die Sowjetunion mit 50 Goldmedaillen den ersten Platz ein, die USA mit 33 Goldmedaillen den zweiten Platz.
Bei den Spielen im eigenen Land, die jeweils von ihrem Systemgegner boykottiert wurden, nahmen die Sowjetunion und USA mit 80 und 83 Goldmedaillen jeweils mit großem Abstand den ersten Platz im Medaillenspiegel ein. Ein ähnliches Ergebnis konnten nur die USA bei den Sommerspielen 1904 in St. Louis erzielen, die kaum von ausländischen Athleten besucht wurden. Die DDR, die 1972 zum Vergleich 20 Goldmedaillen gewonnen hatte, konnte 1980 ihr Ergebnis deutlich auf das erfolgreichste Ergebnis einer deutschen Mannschaft aller Zeiten mit 47 Goldmedaillen steigern. Auch die Bundesrepublik schnitt 1984 deutlich besser ab als bei den Spielen im eigenen Land 1972.
Platz | Land | ![]() | ![]() | ![]() |
1 | ![]() | 80 | 69 | 46 |
2 | ![]() | 47 | 37 | 42 |
3 | ![]() | 8 | 16 | 17 |
4 | ![]() | 8 | 7 | 5 |
5 | ![]() | 8 | 3 | 4 |
Platz | Land | ![]() | ![]() | ![]() |
1 | ![]() | 83 | 61 | 30 |
2 | ![]() | 20 | 16 | 17 |
3 | ![]() | 17 | 19 | 23 |
4 | ![]() | 15 | 8 | 9 |
5 | ![]() | 14 | 6 | 12 |
Insgesamt bewirkten die Olympia-Boykotte also deutliche Verzerrungen in den Medaillenspiegel der jeweiligen Olympischen Spiele. Ohne die Konkurrenz der an den Boykotten beteiligten Mannschaften schnitten die teilnehmenden Mannschaften deutlich erfolgreicher ab. Profiteur konnten dabei auch die Mannschaften gewesen sein, die sich nie an Boykotten beteiligten und damit immer von der kleineren Konkurrenz profitierten.
Insgesamt dürfte der Effekt der Verschiebung im Medaillenspiegel jedoch dadurch geringer ausfallen, dass sowohl die dominanten USA als auch die Sowjetunion sich jeweils einmal gegenseitig boykottierten. Nichtsdestotrotz kann diese Perspektive ein weiterer Grund sein, die tatsächliche Aussagekraft von Medaillenspiegeln in Frage zu stellen.
Zukunft des Olympia-Boykotts
Ein Olympia-Boykott erscheint in der Geschichte der Olympischen Spiele insgesamt als ein drastisches Mittel, das im Widerspruch zum unpolitischen und friedensfördernden Geist der Spiele stand. Selten konnte ein Olympia-Boykott politischen Wandel abseits von der ideologischen Signalwirkung erreichen. Wahrscheinlich ist es auch diesen Umständen geschuldet, dass es seit den Olympischen Sommerspielen 1988 zu keinen wesentlichen Boykotten der Spiele mehr gekommen ist.
Dennoch stellt sich die Frage, welche Rolle die Möglichkeit, die Olympischen Spielen auch in der Zukunft spielen wird. Angesichts zunehmend unsicherer politischer Verhältnisse auf der ganzen Welt erscheint es zumindest sicher, dass es auch bei kommenden Olympischen Spielen von unterschiedlichen Seiten Rufe nach einem Olympia-Boykott geben wird. Ob es aber tatsächlich erneut zu einem Boykott wie zu Zeiten des Kalten Krieges bei den Sommerspielen 1980 und 1984 kommen wird, scheint eher ausgeschlossen. Heute scheint es größeres Verständnis dafür zu geben, welche Konsequenzen ein Olympia-Boykott gerade für die Athleten hat. Dennoch scheint es durchaus wahrscheinlich, dass die Möglichkeit des diplomatischen Boykotts der Spiele wie etwa bei den Olympischen Winterspielen 2022 in Peking zukünftig häufiger in Erwägung gezogen wird.